Patricia MacLachlan: Schere, Stein, Papier

„Die Kraft von hundert Wirbelstürmen“

Auf einer kleinen Insel läuft das Leben im immer gleichen Rhythmus ab: dem Sommer der Touristen folgt der leise Herbst nach deren Abreise, dem langen kalten Winter der feuchtkalte Frühling – es ist wie mit Ebbe und Flut. Und dann liegt am Ende eines Sommer, als die letzte Fähre die letzten Touristen weggebracht hat, ein kleines Kind vor der Tür der Familie der Erzählerin Larkin, mit einem Brief der Mutter: "Ich kann mich jetzt nicht um sie kümmern, aber ich weiß, daß sie bei Ihnen gut aufgehoben ist. [...] Eines Tages komme ich sie wieder holen. Ich liebe sie." Dieses Baby, das Sophie heißt und wieder weggehen wird, erringt die Liebe, die unvernünftige Liebe der ganzen Familie wie der restlichen Inselbewohner. Dass in Larkins Familie etwas nicht stimmt, ist von Beginn an spürbar, dass sie erstarrt ist in der wortlosen Trauer um ein anderes Baby, das kurz nach der Geburt gestorben ist, wird erst später klar. Sophie bricht alles auf und um. Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt. Und zurück.

Ach! Was für ein Buch. Weder die 20 Jahre noch die oftmalige Lektüre haben dieser mich beinahe unheimlich berührenden Erzählung über Verlust, Erinnerung und die Kraft der Wörter irgendetwas anhaben können. Hier stimmt der Ton in jedem Satz, der Rhythmus auf jeder Seite, die Komposition des Ganzen. Hanna Johansen hat perfekt übersetzt, Quint Buchholz stimmungsvoll illustriert. In diesem Buch "steckt die Kraft von hundert Wirbelstürmen drin. Wundervolle Wörter." Lebenslang.

Franz Lettner


Cover

Patricia MacLachlan: Schere, Stein, Papier. Sophies Geschichte (Originaltitel: Baby)

Illustration: Quint Buchholz. Aus dem Englischen von Hanna Johansen
München: Hanser 1994, 128 S., vergriffen