
Friedl Hofbauer: Der Engel hinter dem Immergrün
Friedl Hofbauer, 1924 geboren, war in den 1930er-Jahren Kind in Wien. Der zeitlich und örtlich genauen Verortung der autobiografischen Erzählung »Der Engel hinter dem Immergrün« entspricht die Verschränkung privater und politischer Geschichte: Die Mutter betreibt einen kleinen Friseurladen in der Vorstadt – dabei hätte sie einen Zuckerlfabrikanten heiraten können. War aber nichts für sie, hat den Kellner genommen. Der war zwar auch mal Oberkellner im Sacher, ist aber jetzt arbeitslos infolge gelebter politischer Überzeugung. "Ich bleib zu Haus und zieh das Kind auf", sagt er. Und die Erzählerin: "war stolz auf meinen Vater. Er konnte alles Mögliche, was andere Väter nicht konnten und auch nie taten, Hemden bügeln zum Beispiel. Vor allem konnte er großartig kochen": Marillenknödel, Erdäpfelpüree, Grießbrei (dass er den dann versalzt im 34er-Jahr, wundert nicht) … Nur den Apfelstrudel, den hat immer die Mutter ausgezogen. Und wenn er aus dem Ofen kam, stand der hungrige Nachbar vor der Tür, so regelmäßig wie der »Freitagsbettler«. "Wenn wir nicht neidig sind, haben wir alle genug", war der Wahlspruch der Mutter, die schon mal eine Kundin hinauskomplimentiert, die einen Bettler beleidigt. Dass hier trotzdem nicht die Spur von Sozialromantik aufkommt, dafür sorgt neben einer präzisen Beschreibung der Verhältnisse der knappe, direkte und schnörkellose Erzählton zusammen mit dem Charm des Wienerischen. Man hört Friedl Hofbauer in dieser knappen Erzählung unmittelbar heraus. Über sie wäre viel zu sagen, über ihre Erzählungen und Romane, Bilderbücher, Kurzprosa, Übersetzungen und natürlich immer wieder Gedichte – die »Wippschaukel«, das »Autobahnlied«, »Händewaschen« – und viele andere. Zum Andenken der großen Wiener Dichterin, die 2014 gestorben ist, steck’ ich mir jetzt »Das Kipfel« in den Mund … "Das Kipfel ist zum Essen da, / das Kipfel ist gesund – / zerbrösel mir das Kipfel nicht, / steck’s lieber in den Mund"
