David Almond: Die Sternensucher

Eine Art Himmel

Im November 2002 waren Kollege Lettner und ich unterwegs auf einer der intern nur „BVÖ-Tour“ genannten Vortragsreisen zu Neuerscheinungen der KJL, irgendwo in einem Zug der ÖBB auf der Heimreise von Bregenz nach Wien, draußen Nebel und einsetzende Dunkelheit, drinnen Zigarettenqualm und beginnende Schläfrigkeit. Damals hatten wir noch keine Macbooks mit, um bis spät in den Abend weiterzuarbeiten, und auch noch nicht die strikte Regel, uns das erste Bier nicht vor Attnang-Puchheim zu gönnen. Also machte sich Franz im nur von uns belegten Abteil bereit zum Dösen, gähnte mir aber noch ins Ohr: „Lies mir was vor!“ Ein Zaubersatz, dem ich selten widersprechen kann. Ich zog David Almonds „Sternensucher“ – 18 Geschichten über seine Kindheit und das Aufwachsen im England der 1950er und 1960er Jahre – aus dem Buchkoffer. Ein Konzentrat aus magischem Realismus, in dem thematisch und motivisch fast alles steckt, das in vielen seiner großartigen Romane wie „Zeit des Mondes“, „Feuerschlucker“ oder „Mina“ breiteren Raum erhält. In einer der knappen Erzählungen, genannt „Die Küche“, treffen sich die Lebenden und die Toten einer Familie Sonntag nachmittags, um gebutterten Toast und Tee, Wahrheiten, Erinnerungen und Träume zu teilen.

„Und überhaupt“, sagt sie. „Außer Leben und Tod gibt es noch das hier.“
„Was meinst du?“, fragt Mary.
„Die Küche. Einfach nur die Küche, schätze ich.“
„Der kleinste Ort der Welt“, sagt Dad. „Ein unmöglicher Ort. Eine unmögliche Geschichte. Eine Art Himmel."

Ab Wörgl hatten Franz Lettner und ich dann Geschichten, Bier und einen neuen, gemeinsamen Lieblingsautor zu besprechen.

Klaus Nowak


Cover

David Almond: Die Sternensucher (Originaltitel: Counting Stars)

Aus dem Englischen von Cornelia Holfelder-von der Tann
Ravensburg: Ravensburger Buchverlag 2002, 210 S., vergriffen