Michael Hammerschmid: was keiner kapiert
Michael Hammerschmids Weg von der Lyrik für Erwachsene zu jener für jüngere Leserinnen und Leser ist mit Preisen gepflastert. „schlaraffenbauch", seine erste Publikation mit Kindergedichten, erhielt 2018 den Josef-Guggenmos-Preis. Die beiden folgenden Bände „wer als erster" und „stopptanzstill" wurden 2023 und 2024 mit dem Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis ausgezeichnet. Mit seiner jüngsten Sammlung von Gedichten hat der Wiener Lyriker nun das von ihm so souverän verdichtete Feld allerdings wieder ein Stück weit verlassen. „was keiner kapiert" richtet sich nicht an Kinder, sondern an jene, die oft das Gefühl haben, nicht – richtig – verstanden zu werden. Und ihrerseits die Welt um sich nicht mehr – oder noch nicht – verstehen.
An Jugendliche hat zumindest der Jungbrunnen Verlag das Buch adressiert, an Schwellenbewohner also, die das eine nicht mehr sind, das andere noch nicht. Kein Wunder, dass die Fragen: „wer bin ich" und „wer will ich sein" in vielen Gedichten auftauchen.
"ich steh vorm / spiegel seh mich / nicht / die tränen kommen / später voll / ein see gesicht / und immer noch / versteh ich / nicht."
Selbstzweifel, Unsicherheit, Sehnsucht nach Nähe, Angst vor ihr – Rückzug ist eine alltägliche Bewegung. Auch weil bei anderen nicht mit viel Verständnis gerechnet wird: „wie sie dich sehen / und dich verdrehen ... dich rechnen / dich bis unter den strich / kennen verkennen dich / das ist gewiss".
Zwar kreisen die Ich-Sager dieser Gedichte ständig um sich selbst, aber sie sehen schon auch über ihren Tellerrand hinaus. Wollen den „algo-rhythmus", „der" wie es heißt „meinen Rhythmus kennt" keinesfalls tanzen. Nehmen auch den Zustand der Welt wahr: „er fetzt in mich" ist ein Gedicht überschrieben, und wer da fetzt ist der Krieg und seine Darstellung in den Medien. Aber Botschaften, gar Appelle darf man von Michael Hammerschmid nicht erwarten. Ob er große Gefühle oder konkrete Fragen der Gegenwart poetisch verhandelt, er gibt seinen Gedichten keine Meinung mit, lädt sie auch nicht mit Pathos auf. Bleibt auf den ersten Blick oft eher distanziert – was schon überrascht bei Gedichten, die jugendliche Gefühlswelt und Lebenswirklichkeit beschreiben.
Genaues Lesen macht aber in vielen Fällen kleine Öffnungen sichtbar, die Zugänge zu fragilen Figuren ermöglichen.
Das Gedicht „wesenlich" beginnt mit den Versen „im geschlechterrauch / taucht ein wesen auf / wie es ansprechen / wie es glauben ..." – ein paar Zeilen weiter heißt es: „hab mich nicht be-/schwert weil ich leichter / bin ein flügelleichtes / ich eher wesenlich"
Formal nimmt sich Michael Hammerschmid alle Freiheiten. Er bedient sich – wie auch schon bei seinen Kindergedichten – einer konsequenten Kleinschreibung und eines freien Rhythmus, den er den jeweiligen Situationen, Seelenzuständen, Sehnsüchten anpasst. Da gibt es Wortkaskaden, roh und kraftvoll wie in „unsprechbare sprache" – „hinterzüngig tiefköpfig / rau voll rotz und rausch ..." – übrigens eines von nicht wenigen Gedichten im Band, die auch das Schreiben selbst reflektieren –, dann wieder sehr lyrische Passagen wie im Gedicht „einfaches lied", das auch gut in das Repertoire einer der jungen deutschsprachigen Bands passen würde.
Wiederholungen sind bei Hammerschmid wichtig, Buchstaben, Silben, Wörter, syntaktische Figuren, auch Reime, aber die sind nicht zentral, tauchen oft eher überraschend auf. Das Enjambement ist ein Stilmittel, das in diesem Band eine größere Rolle spielt. Es markiert einerseits die Brüchigkeit einer Existenz auf der Schwelle, andererseits sorgen die Zeilensprünge auch dafür, dass die Verse dieser Gedichte langsam, fast abtastend gelesen werden müssen, will man herausfinden, welches Wort zu welchem passt oder gehört. Damit wird nicht nur die Mehrdeutigkeit poetischen Sprechens unmittelbar anschaulich, sondern auch die Ambivalenz spürbar, die der Lebensphase von Jugendlichen und damit der ersten Adressaten dieser Dichtung eingeschrieben ist.
Gesagt werden muss noch, dass die 80 Gedichte in eine bestechende Buchform gebracht wurden. Alles, Texte wie Bilder, ist in nur einer Farbe gedruckt, die nahe am Yves-Klein- Blau dran ist – nur der Vorsatz der Klappbroschur ist orange. Dazu zwei Schrifttypen in variierenden Größen. Barbara Hoffmann setzt mit ihren Illustrationen manchmal ein Wort, einen Moment aus einem Gedicht figurativ um, manchmal findet sie eine abstrakte Form als Entsprechung einer Stimmung, manchmal lässt sie den Text allein stehen. Die Illustrationen drängen sich nie vor die Gedichte, legen sie auch nicht fest. Sie geben ihnen vielmehr einen Rahmen, einen Halt. Das alles entspricht der lyrischen Erzählpraxis Michael Hammerschmids sehr gut.
Die deutsche Autorin, auch Lyrikerin, Susan Kreller nennt „was keiner kapiert" in ihrer Besprechung in 1001 und 1 Buch eine „wuchtig-poetische Wohltat".
Dem ist voll und ganz zuzustimmen.