Mark Haddon: Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone

Wie viele gute Krimis, so fängt auch Mark Haddons neuer Roman „Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone“ mit einem Mord an. Und diesen Mord will Christopher aufklären, schließlich heißt sein großes Vorbild Sherlock Holmes.

Aus dem Englischen von Sabine Hübner
München: Blessing 2003


“Es war 7 Minuten nach Mitternacht. Der Hund lag mitten auf dem Rasen vor Mrs. Shears Haus, und seine Augen waren geschlossen. Obwohl er auf der Seite lag, sah es aus, als würde er rennen, so wie Hunde rennen, wenn sie im Traum einer Katze nachjagen. Aber dieser Hund rannte weder noch war er am Schlafen. Er war tot. Eine Mistgabel ragte aus dem Fell hervor.“

Wie viele gute Krimis, so fängt auch Mark Haddons neuer Roman „Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone“ mit einem Mord an. Und diesen Mord will Christopher aufklären, schließlich heißt sein großes Vorbild Sherlock Holmes. Ein Mann, der wie er selbst immer auf der Suche nach einem System hinter der Zusammenhanglosigkeit ist. Logik ist Christophers einziger Weg zur Entschlüsselung einer unverständlichen Welt. Denn der 15jährige kann zwar hervorragend mit Zahlen, Daten und exakten Aussagen umgehen, nicht jedoch mit Menschen. Die findet er im besten Fall verwirrend, meistens beängstigend. Manchmal spricht er tagelang nicht. Verschiedene Lebensmittel dürfen sich auf seinem Teller nicht berühren, sonst isst er sie nicht. Niemand, absolut niemand, darf ihn berühren. Sonst schreit und schlägt er. Und wenn die ihn umgebende Verwirrung zu groß wird, rollt er sich zusammen und stöhnt.

Christopher leidet am Asperger-Syndrom, einer leichteren Form des Autismus. Dass der Leser diese Information aus dem Klappentext, nicht aus dem Buch selbst erhält, ist nur schlüssig. Denn Mark Haddon wagt das schwierige Unternehmen, ausschließlich aus der Perspektive dieses Jungen zu erzählen. Und das wirklich Bemerkenswerte daran ist, wie glaubwürdig ihm das gelingt. Sachlich-trockene Beschreibungen von Verhaltensweisen und Gedankengängen fügen sich mit der emotionslosen Außensicht seiner Umwelt, insbesondere deren Kommunikationsmodi, zu einem differenzierten Portrait, in dem Beschönigungen oder Dramatisierungen nichts zu suchen haben. Grundiert ist diese Innenschau von subtilem Humor, der weit weg von peinlicher „Seid nett zu Behinderten“ – Moral angesiedelt ist.

„Ich sagte ihr auch, dass ich mir sehr viel aus Hunden mache, denn sie seien treu und ehrlich und manche unter ihnen seien auch klüger und interessanter als bestimmte Menschen. Als Steve zum Beispiel, der jeden Donnerstag in die Betreuung kommt und der beim Essen Hilfe braucht und nicht mal einen Stock apportieren kann. Siobhan hat mich gebeten, so etwas nie zu Steves Mutter zu sagen.“

Cover
Auch in der Wahl der Stilmittel beweist der Autor ein feines Gespür für seinen Ich-Erzähler und unterlegt den Erzähltext mit den wichtigsten Bestandteilen aus Christophers Universum: Tabellen, Graphiken, logischen Schlussfolgerungen, mathematischen Exkursen. Mit ihrer Hilfe versucht der Junge, Ordnung in das Chaos zu bringen. Weil er rot mag, wird es ein superguter Tag, wenn er fünf rote Autos zählt, wohingegen fünf gelbe Autos in einer Reihe einen schwarzen Tag bedeuten. Das sind die Tage, an denen man am besten keinerlei Risiko eingeht.

Doch gerade das wird, je weiter der Text fortschreitet, immer mehr von Christopher gefordert. Denn im Verlauf seiner Ermittlungen gerät sein bisher aus geordneten Konstanten gefügtes Weltbild völlig aus den Fugen. Plötzlich tauchen Briefe von der Mutter auf, die eigentlich aus dem Jenseits stammen müssten, schließlich wurde sie vom Vater für tot erklärt. Ereignisse, die den Jungen dazu zwingen, über sich selbst hinauszuwachsen. Und mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden, denn schließlich ist das Buch nicht nur unterhaltsam und emotional berührend, sondern vor allem auch spannend.

„Supergute Tage“, das in der englischen Originalfassung in einer Ausgabe für Erwachsene und einer für Jugendliche veröffentlicht wurde, erhielt Ende Jänner den renommierten Whitbread Award. Damit sprengt Mark Haddon, der sich jenseits der Wahrnehmung durch die Literaturkritik bereits mit 15 Kinderbüchern einen Namen gemacht hat, die ohnehin durchlässigen Grenzen zwischen Jugendliteratur und allgemeiner Literatur. Gute Geschichten sind gute Geschichten. In diesem Fall supergut.

Karin Haller