Tjibbe Veldkamp: Roadtrip mit Lasergirl und Beyoncé

Unterwegs mit einem Huhn namens Beyoncé

Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann
Hamburg: Carlsen 2020
128 S. | € 12,40


Online-Kommunikation und Naivität können eine riskante Kombination ergeben. Diese Erfahrung macht auch der dreizehnjährige Ate in Tyibbe Veldkamps neuem Jugendroman „Roadtrip mit Lasergirl und Beyoncé“. Das im Original „Katvis“ heißt, also niederländisch für „Catfish“, was so viel wie „Internet-Betrüger“ bedeutet. Denn auf so einen fällt Ate rein.

Seit einem halben Jahr schreibt er auf Whatsapp täglich zwei Mal mit Baptiste, um vier Uhr nachmittags und um halb elf abends. Nichts Besonderes, meistens besprechen sie You Tube Kanäle, aber er freut sich den ganzen Tag drauf. Schließlich ist er der festen Überzeugung, in Baptiste einen, nein: seinen einzigen Freund gefunden zu haben. Dass er selbst Niederländer ist und Baptiste ohne Papiere chronisch pleite in Belgien lebt, ist genauso unwichtig wie ihre unterschiedliche Hautfarbe.
Als Ate die Nachricht „Ich habe Schulden, muss mein Handy verkaufen“ bekommt, muss er handeln, damit die Kommunikation nicht abbricht. Nachdem er schon öfter Geld überwiesen hat, ohne dass es lange geholfen hätte, beschließt er, dem Freund persönlich ein Handy zu bringen und setzt sich in den Zug von Groningen nach Brüssel. Dort wartet allerdings kein Junge auf ihn, sondern ein sehr großes und sehr schwarzes Mädchen mit Augen wie Laser, das in der Fußballtasche nicht nur so nützliche Dinge wie Chips, Wasser oder einen Bolzenschneider mit sich herumträgt, sondern auch ein Huhn namens Beyoncé: Emeraude, die sich hinter dem Profilfoto von Baptiste verborgen hat, ein Catfish im Auftrag eines Gangsters. Dem will sie entkommen, und Ate soll ihr bei der Flucht helfen. Was er, ganz am Ende, auch tut, aber erst, nachdem er sie verraten hat – schließlich kann er sich nicht so leicht von der Illusion verabschieden, dass es seinen Freund Baptiste wirklich gibt ...

Cover

Auf knapp 130 Seiten verdichtet sich die temporeiche Geschichte zu einem Abenteuer, bei dem eine filmreife Szene auf die nächste folgt. Wiewohl es Ate ist, der als personaler Erzähler fungiert, steht doch Emeraudes Schicksal im Mittelpunkt. Als Kind vom in Brüssel lebenden Onkel aus dem Kongo geholt, zu Aushilfsarbeiten und Betrügereien gezwungen, ohne die Möglichkeit, zur Schule gehen zu können. Obwohl sie Richterin oder Rechtsanwältin werden möchte. In den Jahren in der Illegalität ist Emeraude zu einer beeindruckenden jungen Frau herangewachsen, reaktionsschnell, einfallsreich, unerschrocken. Ate hingegen ist nicht nur jünger und kleiner als sie, sondern auch in jeder Hinsicht unerfahrener.
Während Emeraude sich in einer harten, schonungslosen Welt behaupten musste, saß er hinter seinem Computer und versuchte, persönlichen Begegnungen möglichst aus dem Weg zu gehen. Dass er die fünfte Klasse übersprungen hat, hat sich als katastrophaler Irrtum herausgestellt – haftet ihm doch seither das Stigma des Kleinen und Kindischen an. Emeraude hingegen nimmt ihn ernst, und das nicht nur, weil sie ihn als Fluchthelfer braucht. Als sie wissen möchte, warum Ate sich für den vermeintlichen Baptiste überhaupt nicht interessiert hat, weder für seine Herkunft noch für seine Lebensbedingungen, wird ihm klar: Er stellte keine Fragen, weil er nicht wollte, dass er etwas gefragt wird.

„Er wollte keine Fragen, weil er sie nicht beantworten wollte, denn letztendlich ging es immer darum: Wie geht’s? Die Wahrheit war, dass es ihm nicht gut ging. Dass ihm nichts Spaß machte, außer Schreiben mit Baptiste.“

Soziale Foren als emotionale Schonräume und Rückzugsorte. Die Mediennutzung junger Menschen muss in diesem Buch nicht erklärt werden, das Internet ist als selbstverständlicher Bestandteil des Lebens hier wertfrei. Natürlich geht es auch um Betrüger, die in sozialen Netzwerken falsche Identitäten benutzen, aber Veldkamp verwendet das Motiv nicht als Ansatz für Zeigefinger-Warnungen, sondern als Handlungsmotor. Der Autor moralisiert nicht, sondern erzählt eine Geschichte, und das in sehr komprimierter Form, kommt einem schnellen Leseinteresse mit Vorliebe für markante Szenen und Figuren entgegen. Entwicklungsgeschichte ist dieser Roadtrip keine. Selbst wenn Ate gegen Ende der Geschichte an gedanklicher Wendigkeit gewinnt, so hat man doch nicht den Eindruck, als ob er die Welt weniger blauäugig sieht als vorher, und das Verhalten anderer Menschen ist ihm immer noch tendenziell unerklärlich. Schön, wenn ein kindlicher Blick nicht zwingend als etwas imaginiert wird, das es zu überwinden gilt. Auch wenn er in Internetforen natürlich zu Problemen führen kann ...

 

Karin Haller