Ilona Hartmann: klarkommen

Die Jugend – Jahre des Leidens unter erheblichem "Erlebnismangel".

park x ullstein 2024, 172 S., € 22,70

Die Jugendliteratur erzählt in großen Teilen von heftigen Gefühlen und ungewöhnlichen Ereignissen, von Rückzug oder Aufbruch, von Bests Friends Forever, die gelegentlich verloren gehen oder zu Lovern werden, von wilden Nächten, unvernünftigen Beziehungen oder quälenden Trennungen. Heldinnen und Helden werden meist – zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt – auf eine Reise geschickt, im Lauf derer sie im besten Fall zu sich kommen.

„klarkommen“ lässt dieses ganze Heiapopeio aus – und daran von Anfang an keinen Zweifel: „Die große Vision für später sah vor, nachzuholen, was jetzt nicht erreichbar war, also alles.“, heißt es schon auf der zweiten Seite. Da ist die Ich-Erzählerin zwar gerade erst Teeanger geworden, lässt aber schon zu diesem Zeitpunkt alles vermissen, was dieser Lebensphase gemeinhin zugeschrieben wird: Wut, Lautstärke und den ganzen Rest einer sich ankündigenden Rebellion.

Hat die deutsche Autorin Ilona Hartmann in ihrem Debütroman „Land in Sicht“ eine Mittzwanzigerin auf Vatersuche und auf ein Donaukreuzfahrtsschiff zwischen Passau und Wien geschickt, lotet sie jetzt die Zeit kurz vor dem Erwachsenwerden aus – und das wiederum in einem gar nicht mondänem Umfeld. Sie lässt ihre drei Hauptfiguren in einer langweiligen Kleinstadt aufwachsen mit Eltern, „deren wichtigster Erziehungsinhalt Zusammenreißen gewesen war“. Schickt sie nicht auf die Schule für die „talentierten, wohlhabenden Kinder mit guten Aussichten“, sondern auf die für den Rest. Dass die Ich-Erzählerin mit Mounia und Leon eine Dreier-Clique bildet, hat sich auch eher zufällig ergeben. Irgendwann gehört man eben zusammen, weil man halt viel Zeit miteinander verbracht hat. Womit? Mit wenig, weil wenig los ist, und wenn, ist man nicht dabei. Als man einmal mitkriegt, dass auf den Uferwiesen einer der illegalen Raves stattfinden soll, stellt sich beim Näherkommen raus, dass die gleißenden Scheinwerfer zu Polizeibussen gehören, die jede Party verhindern.

 

Ilona Hartmann: klarkommen

Die hier – retrospektiv beschriebene – Jugend steht unter einem „Erlebnismangel“, wie die Ich-Erzählerin feststellt. Und wenn dann doch mal was passiert, bleibt es weit hinter den Erwartungen zurück. Etwa in Bezug auf die romantische Liebe, wie sie in Büchern und Filmen vorkommt. Zwar spaziert die Ich-Erzählerin nächtens mit Leon durch die Felder, aber zu dem in dieser Situation geradezu zwingenden Kuss kommt es nie. Was bei ihr ein bleibendes Gefühl der Scham hervorruft. Die wiederum nicht verhindert, dass Leon neben Mounia nach Abitur und Umzug in die Großstadt Teil der Wohngemeinschaft wird. Dort entspricht der erste Eindruck den Klischees eines Zugewinns an Freiheit: Die Wohnung ist eine halbwegs verkommene Baustelle, im Kühlschrank regiert der Schimmel, das Studium bleibt so unbedeutend, dass man nicht mal erfährt, was studiert wird. Und sonst? Sind da zwar coole Leute, auf der Kunsthochschule zum Beispiel, aber man gehört eindeutig nicht zu ihnen. Es gibt auch jede Menge Clubs, Konzerte, Partys, aber man ist doch meist in und auf den falschen.

„klarkommen“ ist eine fröhliche Desillusionierung: Jugend, wird hier behauptet, ist nicht die beste Zeit des Lebens. Jugend ist – zumindest für die drei Protagonist:innen dieses Buchs – der Versuch, damit klarzukommen, nicht cool genug zu sein, nicht interessant genug, die Tage mit dem ständigen und miesen Gefühl zu verbringen, am falschen Ort zu sein, die falsche Person zu sein. Das könnte daran liegen, mutmaßt die Ich-Erzählerin, dass man eben nicht „über Nacht ein entfesselter Teenager werden [kann], lebendig und launisch, lustig, wild und leicht.“, wenn man das „Zusammenreißen“ von den Eltern geerbt und gelernt hat.

Dass „klarkommen“ trotz der wenig glanzvollen Figuren so unterhaltsam ist, liegt an der Form des schmalen Buchs. Ilona Hartmann, die seit Jahren erfolgreich Social Media-Plattformen bespielt, erzählt knapp, pointiert, witzig, manche ihrer Sätze haben geradezu aphoristischen Charakter. Die kurzen Kapitel – das kürzeste hat einen Satz, meist sind es nicht mehr als zwei, drei Seiten – stehen unter Einwortüberschriften: „flieder“ / „saufen“ / „motten“/ „kneipenjahre“ / „trotzdem danke“ … . Darin beschreibt Hartmann kleine Szenen, Beobachtungen, Denkfiguren der Protagonistin, konfrontiert ihre Sehnsüchte mit der oft enttäuschenden Wirklichkeit. Porträtiert so mit scheinbar schnellen Strichen eine Jugend jenseits dramatischer romantischer, ereignisreicher Heldenreisen, dafür aber treffsicher und originell.
Im O-Ton heißt das: „Das Leben ging einfach weiter und schleifte einen zur Not hinterher.“

Franz Lettner