
Wort für Wort
Muss man als 12-jähriges australisches Mädchen alles daran setzen, eine Super-Heldin zu werden, bloß weil man vom Literatur liebenden Vater den Namen Hero abgekriegt hat? Nein, es genügt voll und ganz, eine gute Freundin zu sein. Kann man als Junge aus dem Iran, der bereits Lyrik-Preise für seine Gedichte einheimst, seine eigene Stimme wiederfinden, wenn man bei der Flucht vor dem repressiven Regime die politisch aktive Mutter verloren hat? Ja, man kann weiter leben und dabei nicht den Hass sondern die Liebe in sich weitertragen. So zu lesen in »Wort für Wort«, das bereits auf dem stimmigen Cover mit goldenen Schriftzeichen die Begegnung zweier Figuren aus verschiedenen Kulturen und die Macht der Literatur und des Erzählers schlechthin andeutet. Darüberhinaus geht es hier um vieles mehr: um Freundschaft und Mobbing im Schulalltag, um Flucht und Migration, um Frauenrechte und Feminismus, um psychisch labile Figuren und erwachendes Selbstbewusstsein. Klingt heavy? Ist es mitunter auch. Aber Maryam Master, die selbst mit neun Jahren aus dem Iran nach Australien gekommen ist, und die stimmige Übersetzung von Isabel Abedi berichten hier – aus zwei Perspektiven und in zwei Erzählsträngen, die gemeinsam auf ein dramatisches und mit einigem Pathos getränktes Finale zusteuern – direkt aus kindlichem Alltag in einer fein ausbalancierten Mischung aus Tragik und Komik. Dass man sich dabei gut unterhält, liegt an einem grandiosen Cast, der mit eigenwilligen Nebenfiguren nach Verfilmung schreit. Abwechslungsreich ist dabei auch der Buchsatz, mitunter werden Wörter, Sätze oder ganze Absätze fett hervorgehoben oder in extragroßer Schriftgröße gedruckt. Weil: »Worte haben Macht.« Sagt Heros Literatur-Lehrer-Papa, der Poesie verschlingt und sich »mit Prosa die Zähne putzt«, derweil Hero an alberne Wörter wie »Wackeldackel!«, »Luftikus« und »Plumpsklo« denkt. Etwas, das im Hörbuch klarerweise verloren geht. Dies ist routiniert eingelesen von Julia Nachtmann und Julian Greis, auch wenn der Vortrag beim finalen Poetry-Slam dann nicht wirklich »gerappt, gerattert und vorgetragen wie ein Boss« daherkommt, aber doch einen Ton von zugleich Power, Dringlichkeit und Zärtlichkeit bekommt. Wie vieles in diesem Buch. Und wie die eine Lieblingsspeise, die am Anfang und Ende des Buchs serviert wird: extrawarme Waffeln.
Klaus Nowak

Maryam Master: Wort für Wort
Hörbuch gelesen von Julia Nachtmann und Julian Greis. Lübbe Audio, MP3-Download, 236 Min., € 14,99
Dieser Buchtipp erschien zuerst in "1001 Buch"