Wie anders ist alt?
»Oma, wie ist das, alt zu sein?« fragt ein Kind. »Ach, das ist genau wie jung zu sein. Nur ein bisschen anders« antwortet die Großmutter. So lässt Bettina Obrecht ihren Dialog über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zweier doch weit auseinander liegender Lebensphasen beginnen. Klar wird: Manche Dinge ändern sich nicht. Egal ob man alt oder jung ist, tut es gut, laut zu lachen oder zu tanzen. Und so oder so ist man hier und da traurig. Anderes ändert sich zumindest ein wenig: Auch wenn Junge wie Alte sich bisweilen ärgern, tun das die einen oft über das, was sie noch nicht, die andern über das, was sie nicht mehr können. Und manches ist dann doch deutlich anders im Alter: »Wenn du klein bist, musst du oft tun, was andere wollen. Wenn du alt bist, machst du was du willst.« Julie Völk begleitet das auf die titelgebende Frage fokussierte Gespräch auf der Bildebene und nuanciert es: Die Figuren essen, kleiden sich an, gehen in die Stadt und auf den Rummel. Wenngleich die Illustratorin mit den gewohnten Mitteln (Buntstifte, Aquarell) arbeitet, wirken die Bilder anders als in früheren Büchern. Das liegt am Strich, der nicht mehr ganz so fein ist, an den Aquarellen, die deutlich feuchter sind. Damit bekommen die Figuren mehr Körper, sind verletzlicher. Und der gezeigte Stadtraum macht nicht mehr so einen aufgeräumten Eindruck wie etwa noch in »Guten Morgen, kleine Straßenbahn«; es scheint in der kleinen Stadt des aktuellen Buchs auch viel lauter zu sein. Darüberhinaus erweitert Julie Völk fast alle Szenen mit Figuren, die nur in feinen Umrissen Gestalt bekommen; sie spiegeln die Protagonist:innen, verdichten das Geschehen, erweitern den Bedeutungsraum. »Alt und jung sein ist genau gleich. Nur ein bisschen anders«, wird am Ende auf einer Parkbank gelassen resümiert. Ein guter Platz für Jung und Alt, um dieses Buch gemeinsam zu lesen.
Franz Lettner