Was uns der Wind erzählt
Luftig und leicht wird man in dieses erzählende Sachbilderbuch hineingezogen, mit Blättern und Samenstängeln im Vorsatz – und einem Kind namens Lou, das im einleitenden und handschriftlich gesetzten Text auf ihr Abenteuer einstimmt: » ... wie ich den Wind traf, die Welt von oben sah und in einen Sturm verwickelt wurde.« Im Haupttext (in klarer Typografie und gutem Satz) kommt dann der Wind selbst als Erzähler zu Wort und was er alles kann, ist sogleich in den Bildern zu sehen: Er verweht das Papier, zerzaust das Haar, schiebt die Wolken und verbiegt ganze Bäume. »Ich bin ein Wind, ein Formwandler, hellblau, unsichtbar.«
Schon im ersten Satz ein Paradoxon: Wie kann man hellblau und unsichtbar zugleich sein? Aber der eigentlich närrische Versuch, den Wind einzufangen – Hallo Schildbürger! – gelingt der Illustratorin Lili Mossbauer durchaus. Mit vielen kleinen blauen Stricherln, die sich immer etwas anders kringeln und wirbeln, bekommt ihr Formwandler Kontur, hinzu kommen noch zwei kleine Kreise als Augen und zwei größere in Rosa als Pausbacken, womit eine auffällige Ähnlichkeit zu Lou gegeben ist, deren Pausbacken passend zu ihrem rotbraunen Wallehaar farblich etwas dunkler ausfallen. Als »Hauch« ist der Wind dann so klein, dass Lou ihn auf ihrer Hand tragen kann, als »Luftzug« ist er bereits so groß, dass sie ihre Kopfbedeckung fest halten muss, und als »Sturm« bedeckt er eine ganze Buchseite und Lou scheint im nunmehr dunklen Grau seiner riesigen Gestalt förmlich zu verschwinden.
Gemeinsam mit den beiden fliegt man dann über Kontinente und sieht, wie der Wind die Oberfläche unseres Planeten mitgestaltet, indem er fruchtbare Erde und neue Pflanzen an andere Orte trägt. Man lernt berühmte Winde kennen (Bora, Passat, Ghibli, Mistral, Willy Willy und Zonda), streift kurz mythologische Geschichten über Windgottheiten oder Tricks und Zaubersprüche als Schutz und Abwehr von Stürmen. Die Rede ist von Windmühlen und Windrädern, vom Wetterbericht und den dann doch nicht immer stimmigen Berechnungen der Menschen, dem Wind Herr zu werden. Die Erzählung ist dabei gut aufgeteilt in knappe, kleine Happen im Weißraum des angenehm matten, dicken Papiers, bei doppelseitigen Illustrationen bisweilen auch geschickt in Form von Wolkenfeldern platziert. Der Text hält durchgängig eine schöne Balance zwischen Information und Emotion und ist auch für kleinere Kinder schon zugänglich. Dass Lou nicht in den Sturm geraten will, weil er ihr Angst macht, verstehen sowieso alle. Am Ende sehen wir sie vergnügt auf einer Schaukel, ganz hoch in die Luft fliegen. »Für einen klitzekleinen Moment ist alles ganz leicht. So hat es sich angefühlt, mit dem Wind zu sein.«
Klaus Nowak