stopptanzstill!
Vier Jahre lang war das von Architekt Oswald Haerdtl geplante und 1959 eröffnete Wien Museum am Karlsplatz wegen Generalsanierung und Erweiterung geschlossen. Dass zur Neueröffnung des bemerkenswerten Hauses im Dezember 2023 neben Publikationen zu Architektur und Dauerausstellung auch ein Kinderlyrikband präsentiert wurde, verwundert nur im ersten Moment – wurden doch an diesem Ort vor etwa zehn Jahren eine Ausstellung zu Mira Lobe und Susi Weigel und kurz darauf die »Ernst Jandl Show« gezeigt. Das Wien Museum mag Literatur! Und hat den ausgezeichneten Autor Michael Hammerschmid, der auch Kolumnist vom 1001 Buch ist, beauftragt, Gedichte über und zu Tieren zu schreiben. Und zwar nicht irgendwelchen, sondern solchen, die im öffentlichen Wiener Raum zu sehen oder im Wien Museum gelandet sind.
Herausgekommen ist ein in vielfacher Hinsicht bemerkenswerter Band. Da sind zum einen die Tiere: Ein Hirsch aus Kupfer, der grün gewandet majestätisch vom fünften Stock eines Hauses über die Taborstraße blickt; steinerne Schnecken, Elefanten, Fische oder Bären, die in Parks oder Gemeindebau-Höfen kriechen, stapfen, schwimmen und kugeln, teils auch als Spielskulpturen dienen; da sind Katzen, Raben, Wölfe auf Wandgemälden, Reliefen und Friesen, dazu gesellen sich Tiere, die im Wien Museum zuhause sind: ein kleiner roter aus Eisenblech getriebener Igel oder ein riesiger Walfisch aus Kupferblech, beides ehemalige Wirtshausschilder. Alle Objekte sind fotografiert im Buch zu sehen, in ihrer natürlichen Umgebung zwar, ihr aber über die grafische Gestaltung enthoben. Nun stehen sie auf je einer Doppelseite neben den ihnen von Michael Hammerschmid zugedachten Gedichten, die so vielfältig daherkommen, wie die Tiere. Es ist faszinierend, was der Autor in ihnen sieht und wie er das in seine Gedichte aufnimmt: den Ort, an dem die Tiere wohnen, ihre unmittelbare Umgebung, Materialität, Form oder Haptik, Haltung und Gestik. Michael Hammerschmid spielt mit Perspektive und Sprachduktus, misst den Tieren Tempo, Rhythmus und Tonalität an; spricht sie an, lässt sie sprechen oder verwickelt sie in Gespräche. Er nähert sich ihnen lautmalerisch oder sprachschöpfend, umgarnt sie mit Reimen oder lässt sie über Zeilen springen, ist hier leise und lacht dort lauthals auf.
Man muss übrigens nicht in Wien leben, um diese Gedichte zu lieben, man kann die verdichteten Tiere aber (be)suchen, wenn man in der Stadt ist. Und sollte dann jedenfalls auch im neuen Wien Museum vorbeischauen.
Franz Lettner
Michael Hammerschmid: stopptanzstill!
Wien: Picus 2023, 96 S., € 18,00 | ab 5 Jahren
Dieser Buchtipp erschien zuerst in "1001 Buch"