
Schlich ein Puma in den Tag
Die Schweizer Illustratorin Verena Pavoni und die österreichische Autorin Lena Raubaum nähern sich in ihrem ersten gemeinsamen Werk schrittweise fünf Tierfiguren an und wagen einen in Bild und Text poetischen Blick hinter deren Fassade: Da ist ein titelgebende Puma, der „schritteleise, pfotenweise“ in den Morgen schreitet. Ein nachdenklicher Laubfrosch hockt auf einem Ast und fragt sich, ob er für den Absprung in die Welt schon bereit ist. Ein emotionsschwangerer Kugelfisch steht kurz vorm Explodieren. Ein eingeengter Leguan strebt nach größerer Haut und Veränderung. Und eine achtsame Schleiereule nimmt mit ihren scharfen Sinnen vor allem das Unscheinbare wahr.
Die Künstlerinnen nehmen die Leser*innen mit auf eine entschleunigende Reise, indem sie die Genese dieses Kunstbuchs selbst ins Zentrum stellen. Schon allein die Bildabfolgen von Pavoni, die in jeweils 12 Schritten die Entstehung der Wachskreide-Sgraffito-Zeichnungen festgehalten hat, entwickeln eine faszinierende erzählerische Kraft. Anfangs deuten einzelne Striche auf der jeweils rechten Seiten nur Silhouetten an, bis nach und nach farbkräftige Tierfiguren erscheinen, die von schwarzer Farbe gleich wieder überdeckt werden und verschwinden. Hier geht die Künstlerin ebenso schrittweise vor, Umrisse sind auch in diesem Dunkel noch sichtbar, bevor die Tiere behutsam wieder freigekratzt werden und erneut auftauchen. Und schlussendlich selbst als Beobachter vor einem stehen. Die Konturen des Kratzwerkzeugs verleihen den Bildern eine sinnliche Dreidimensionalität, die Haptik wird mit dem Auge fast spürbar.
Im Laufe jeder Enthüllung setzt auf der linken Buchseite dann plötzlich Text ein, der eine vermeintliche Stille bricht und sich parallel zu den Bildern ebenso etappenweise und sachte entwickelt. Lena Raubaum hat die Gedichte erst nach den Bildern geschrieben und fängt darin die Stimmungen dieses schichtweisen Wachsens und auch innere Veränderungen ein. Sie spielt dabei mit Wortklang („fühl zu viel“) und Bedeutungen ("Eine Schicht / wird jetzt Geschichte"). Wenn es nach der Metamorphose des Leguans schlussendlich heißt „Eine neue Haut / ist fertig“ verschränkt sich die Bedeutungsebene des Herstellungsverfahren sogar mit biologischen Merkmalen des Tiers.
Dieses Buch lädt nicht nur ein zum Beobachten und Wahrnehmen von Übergangsphasen und Verwandlungen. Die Künstlerinnen regen in Anleitungen auch dazu an, selbst Ölkreiden und Lieblingsstifte hervorzuholen und sich in der Kratzbild- und Textproduktion zu versuchen.
Verena Weigl

Lena Raubaum & Verena Pavoni: Schlich ein Puma in den Tag
Dieser Buchtipp erschien zuerst in der österreichischen Wochenzeitung Die Furche