Regenwurm und Anakonda

Aufregend, furchteinflößend, informativ oder sterbenslangweilig? Das Referatehalten in der Schule hat eine lange Tradition, die alle ganz unterschiedlich wahrnehmen oder erinnern.

Die Autorin Bibi Dumon Tak legt mit „Regenwurm und Anakonda“ ein äußerst humorvolles und unterhaltsames erzählendes Sachbuch vor, das einen frischen Blick auf dieses „Schul-Zeremoniell“ wirft. „Referate können nämlich superviel Spaß machen. Vor allem, wenn sie mal nicht von der Tierart Mensch gehalten werden.“ Und darum haben hier die Tiere das Wort, die in einer Art Schulklassensetting über andere Tierarten aus ihren jeweiligen Perspektiven referieren. Manche nehmen das sehr ernst, andere lassen sich ablenken, provozieren oder reden entweder subtil oder auch ganz offen über sich selbst. Kreativität zeigen viele bereits in der Themenwahl: Das Zebra hält seine Rede über schwarz-weiße Tiere, der Totenkopffalter weiß alles über das Totenkopfäffchen und die Geburtshelferkröte findet bei der Nachwuchspflege einige Parallelen zwischen sich und dem Koala. Dass der Maulwurf mit der Schnake über eine seiner Mahlzeiten spricht, löst erste Proteste im Publikum aus. Als der Fuchs dann in seinem Vortrag den Hals als die Schwachstelle bei Gänsen ausmacht und auch noch deren köstliches Brustfleisch lobt, gehen endgültig die Wogen hoch. Schließlich will die Gans nicht nur als Gänsekeule wahrgenommen werden. Vor allem in den Zwischenrufen, Nachfragen und Diskussionen, die die gesamte Dramaturgie lebendig machen, zeigen die Tiere ihre Persönlichkeiten. Am öftesten unterbricht der Fuchs und reagiert besonders enthusiastisch, wenn es um Karnivoren oder Horrorgeschichten geht. Der schüchterne Einsiedlerkrebs, der vor lauter Aufregung ohne sein Schneckenhaus fast kein Wort herausbringt, erfährt viel Zuspruch von der gesamten Gruppe. Generell erweist sich die Tierrunde als Solidargemeinschaft. Das Miteinander beruht auf einem unausgesprochenen Konsens, eine vorgegebene Moderationsrolle scheint niemand zu haben. Auch wenn die Schleiereule die Gruppe wiederholt zur Ordnung mahnt. Beim Referat des Brüllaffen über das Einhorn halten die Themen „Fake News“, Informationsquellen und Recherche Einzug in die Debatten. Sogar Verweise auf menschliche Filme („Das Schweigen der Lämmer“) oder Sensationsgeschichten (Mann ließ sich freiwillig von Anakonda verschlingen) kommen vor – und immer wieder gibt es kleine Anspielungen auf den aus Tiersicht nicht nachvollziehbaren und oft respektlosen Umgang der Menschen mit Flora und Fauna. Die Illustratorin Annemarie van Haeringen bringt alle Tiere zur Ansicht: Die Referenten – oft mit einem Spickzettel ausgestattet – in gezeichneten Vignetten, den besprochenen Tieren ist jeweils ein wunderbares Blatt gewidmet, auf der sie stilistisch ganz unterschiedlich aber immer höchst ausdrucksstark charakterisiert werden. Das tierisch lustige Vorlese- und Lesevergnügen macht – fesselnd und lehrreich zugleich – Lust auf Wissensaustausch und Perspektivenwechsel. Gut also, dass von Seiten der Tiere bereits eine weitere Referate-Sammlung angekündigt wird!

Verena Weigl

Bibi Dumon Tak & Annemarie van Haeringen: Regenwurm und Anakonda

Bibi Dumon Tak & Annemarie van Haeringen: Regenwurm und Anakonda

Was Tiere über sich erzählen.
Aus dem Niederländischen von Meike Blatntnik. Hildesheim: Gerstenberg 2025, 128 S., € 20,60, ab 9 Jahren

Dieser Buchtipp erschien zuerst in der österreichischen Wochenzeitung Die Furche