Opa fliegt
Was für ein unglaublicher Großvater! Opa Winnie ist 107 Jahre alt und hält 857 Rekorde. Er hat gegen einen Gorilla im Armdrücken gewonnen und die längste Lakritzschnecke der Welt gegessen, er hat als erster Mensch den ganzen Amazonasfluss durchschwommen und hält den Dauer-Flatulenz-Rekord (2 Minuten und 14 Sekunden). Seine Haustiere sind eine zutrauliche Riesenspinne, fantastisch-wuselige Putz-Schwämme vom Great Terrier Riff und ein immer zum Kuscheln und Streicheln bereiter Hund namens Tschackalack. Kein Wunder, dass Ich-Erzählerin Melanie und ihr Bruder Marlon fassungslos sind, als Opa seinen Enkeln wirklich Unglaubliches berichtet: Sein Arzt meint, er hätte nur noch vier Wochen zu leben. »Dann werde ich sterben. [...] Blöde Sache, was?« Was als äußerst vergnügliche Lügen-Geschichte voll maßloser Übertreibungen beginnt, geht alsbald mit eindringlichen Sprach-Bildern der Frage nach, was uns nach dem Tod eines geliebten Menschen bleibt. Dazu gibt es bereits einiges überzeugendes im Kinderbuch, aber selten liest man davon wie hier in einer so gelungenen Mischung aus heiter und ernst. Markus Orths gestaltet seine Erzählung zugleich klug und einfühlsam, virtuos und tröstlich. Er lässt dabei die Eltern großteils außen vor und konzentriert sich ganz auf die Beziehung des Großvaters zu den beiden Enkeln, die am Ende dessen »Wunderbuch der Rekorde« weiterschreiben und somit auch eine Art Familientradition fortführen werden. Kerstin Meyers witzige Illustrationen tragen überdies dazu bei, dass man auch Opa Winnies letzten verblüffenden Trick nicht nur für wahrscheinlich, sondern für wahr, richtig und gut hält: Er erfindet einen Zaubertrank, der ihn zum leichtesten Menschen der Welt werden lässt, und löst sich in Luft und Liebe auf.
Klaus Nowak