Manchmal male ich ein Haus für uns

Europas vergessene Kinder – ein bemerkenswertes und berührendes Zeitdokument

„Die Schande Europas“ heißt das Buch des Soziologen Jean Ziegler über die Situation geflüchteter Menschen auf der griechischen Insel Lesbos. „So ein Elend, so eine Verzweiflung wie in Moria habe ich noch nie erlebt“, sagt er in einem Interview über das Flüchtlingslager, das für etwa 2500 Menschen gedacht war, wo aber zeitweise mehr als 20.000 Menschen lebten, fast die Hälfte davon Kinder. Im September 2020 brannte Europas größtes Flüchtlingslager ab. Noch davor hat die frühere Hochzeitsfotografin und ehrenamtliche Nothelferin Alea Horst jene Fotos gemacht, die in ihrem Buch „Manchmal male ich ein Haus“ abgebildet sind. Zusammen mit den Texten – Ausschnitten aus Interviews Alea Horsts mit Kindern im Lager Kara Tepe vom Februar 2021 – machen sie anschaulich, was Jean Ziegler gemeint hat. Ohne dabei jene Menschen, die ihre Heimat verloren haben, aus Syrien, dem Irak, Iran, aus Afghanistan, dem Kongo, Pakistan, Nigeria oder dem Libanon geflüchtet und in Schlauchbooten von der Türkei über das Meer gekommen sind, bloßzustellen.

Die Fotos fokussieren nicht auf das Elend, sondern auf die Menschen, die erzählen: von Krieg und Flucht, vom elenden Leben in den Lagern, aber auch über ihre Wünsche und Träume. Sie möchten Fußballer werden oder Ärztin, sie wollen keine Angst haben müssen und einen Platz haben, um zur Ruhe zu kommen. Die zehnjährige Tajala, die mit ihren Eltern und vier Geschwistern aus Afghanistan geflohen ist, erzählt: „Wenn ich male, dann male ich am liebsten Häuser und Vögel und Bäume. Ich male auch manchmal ein Haus für uns.“ Dass die Träume und Wünsche dieser Kinder unseren Träumen und Wünschen so ähnlich sind, macht klar, dass sie sind, wie wir. Und dass es uns also auch jederzeit so gehen könnte, wie ihnen. Von denen manche nur noch Albträume haben. Raghad aus Syrien, sie ist 14, sagt: „Mein Traum für ein gutes Leben ist vorbei, aber ihr könnt eure Träume noch wahr werden lassen.“ 

„Manchmal male ich ein Haus“ ist ein bemerkenswertes und berührendes Zeitdokument.

Franz Lettner

 

horst haus

Alea Horst (Fotos) & Mehrdad Zaeri (Ill.): Manchmal male ich ein Haus für uns

Europas vergessene Kinder
Leipzig: Klett Kinderbuch 2022 | 80 S. | € 16,50 | ab 18 Jahren

Dieser Buchtipp erschien zuerst in "1001 Buch"