Kaya Kompliziert
Schon nach dem Aufwachen verzettelt sich Kaya in ihren Morgenritualen: Sie muss die Eisgeisterchen abwehren, um aus dem Bett zu kommen, die richtigen Socken suchen, damit die Füße nicht protestieren; im Bad muss sie die Wasserwichtel vertreiben, auf dem Weg in die Küche darf sie nicht auf die Fliesenfugen treten, sonst beißen die Winkelzwerge, und trinken kann sie nur aus der Tasse mit den Punkten. Wie immer verliert das Mädchen auch an diesem Morgen den Kampf gegen die Uhr, die Mutter ist genervt, es kommt zum Streit …
Robin will selbst das Abendessen machen, es soll perfekt sein – und dann geht alles schief: ein Finger blutet, die Küche ist verdreckt, nichts ist fertig, als Mama kommt, die stocksauer ist, wie so oft sind ja auch die Hausaufgaben noch nicht gemacht – wo ist das Aufgabenblatt überhaupt wieder geblieben? In der Schule vergessen …
Ennio ist überfordert: Die Familie ist gerade umgezogen, im neuen Haus stinkt es nach Farbe, sein altes Bett ist weg, überhaupt ist alles anders, wie furchtbar. Mama tröstet Ennio zwar, aber Papa meint, sie verweichliche ihn, so werde er es nie packen. Es kommt zum Streit …
In den Büchern aus der Reihe »insBesondere Kinder« des schweizerischen Kwasi Verlags wird über die Lebenssituation dreier Kinder aus deren Sicht erzählt: Robin hat ADHS, Kaya ist von Zwangsstörungen betroffen, Ennio ist hochsensibel. Wie schwierig sich der Alltag mit diesen besonderen Kindern gestaltet, wird von Noëmi Sacher (bei »Robin Ruhelos« mit Co-Autor Ruedi Ernst) erzählerisch vermittelt und von Tanja Stephani umfangreich und atmosphärisch dicht illustriert. Dazu werden die Protagonist:innen modelliert, ihre jeweilige Form der Wahrnehmung und des Denkens und typische Handlungsmuster werden in knappe spannungsreiche Geschichten – inszeniert im Rahmen etwa eines Tages – umgesetzt. Sie machen deutlich, mit welchen Problemen die Kinder konfrontiert sind, wie ihr Umfeld reagiert und wie sie wiederum damit umgehen. Zentral gilt für alle drei Figuren: Sie fühlen sich unverstanden von ihren Eltern, die zwar bemüht aber ebenso überfordert sind – diese Familien sind insgesamt massiv konfliktbelastet.
Auch wenn gelungene Bilder für die besondere Selbst- und Weltwahrnehmung der kindlichen Protagonist:innen gefunden werden (etwa für die Zwänge, denen Kaya ausgesetzt ist oder die vier inneren Stimmen Robins), ist klar, dass diese Bücher (bibliotherapeutische) Konzeptliteratur sind. Die Handlung ist entsprechend konstruiert, alle Szenen dienen dazu, die jeweilige Besonderheit Kayas, Robins und Ennios anschaulich zu machen, Nebenfiguren bleiben weitgehend schematisch, die Wende am Ende ist (immer ein bisschen abrupt) gut. Aber das muss auch sein, richten diese Bücher sich doch in erster Linie an betroffene Kinder und ihre Eltern (die explizit in den feinfühligen Nachworten von Fachleuten adressiert sind). Sie – die vermutlich so oft als schwierige Kinder bezeichnet werden – finden sich in diesen Geschichten wahr- und ernstgenommen. Das ist wichtig und richtig.
Franz Lettner
Ruedi Ernst & Noëmi Sacher & Tanja Stephani (Ill.): Robin Ruhelos
Noëmi Sacher & Tanja Stephani (Ill.): Ennio Empfindlich
Noëmi Sacher & Tanja Stephani (Ill.): Kaya Kompliziert
Dieser Buchtipp erschien zuerst in "1001 Buch"