Herzdenker

Am Anfang des Buches sitzen wir im Vernehmungsraum 3, in dem Vic alles tut, um Zeit zu schinden, so wie auch Mad im Zimmer daneben. Es gab einen Mord, doch wer wurde umgebracht, von wem und warum?

Waren die beiden Zeugen der Tat? Was ist in dieser Nacht wirklich passiert? Um all diese Rätsel möglichst lange ungelöst und damit die Spannung aufrecht zu halten, verschränkt das Buch die erzählte Gegenwart der vierstündigen Vernehmungen mit der Rückblende auf die vergangenen acht Tage und wechselt dabei laufend die Perspektiven. So fügt sich langsam das Puzzle um Vic zusammen, der einen Abschiedsbrief seines verstorbenen Vaters mit einer Reihe kryptischer Aufträge findet. Auf der Mission, diese zu entschlüsseln, wird er von einer ganz bemerkenswerten Gang unterstützt, den „Helden des Hungers“: vier junge Menschen, deren Kindheit ein von Verlust und Gewalt geprägter Alptraum war bzw. ist, Waisen, die sich zu einer Wahlfamilie zusammengeschlossen haben, angeführt vom 25-jährigen Baz. Dessen DNA sich auf einer Mordwaffe findet…
Der Roman bringt uns ganz bemerkenswerte Figuren näher, allen voran Vic, der am Möbius Syndrom leidet. Seine Gesichtsmuskeln sind gelähmt, er kann nicht lächeln, die Stirn runzeln, blinzeln, die Augen schließen. Weshalb er, der komplexe Analysen, Opern und ausufernde Epik liebt, von anderen als dumm eingestuft, angestarrt, gemobbt wird.. Doch es geht nicht nur um ihn, jede einzelne Figur der „Helden des Hungers“ bekommt ihren Raum und ihre Geschichte, es sind Geschichten von Kindern, die ihre Heimat verlassen müssen und auf der Flucht ihre Eltern und Schwester verlieren, von Mädchen, die vernachlässigt und misshandelt werden, von Kindern, die trotz alledem nicht aufgeben, Träume und große Zukunftspläne haben, kämpfen..
Ein großartig erzählter Roman mit Sogwirkung, in dem es nicht zuletzt auch um die Bedeutung des Loslassens geht, die Vergangenheit abzuschließen, Unbeeinflussbarkeiten zu akzeptieren. „Wir gehören alle zur gleichen Geschichte, jeder von uns ist ein Kapitel davon. Es steht nicht in unserer Macht, den Schauplatz oder die Handlung festzulegen, aber wir können selbst entscheiden, was wir aus unserer Figur machen.“

cover arnold herzdenker

David Arnold: Herzdenker

Aus dem amerikanischen Englisch von Ulrich Thiele
Würzburg: Arena 2018 | 376 S. | € 17,50 | ab 14