Bleibt Oma jetzt für immer?
»Sie verirrt sich in ihrem eigenen Leben« sagt der 8-jährige Anton, als seine Eltern ihm und seiner Schwester Klara zu erklären versuchen, was mit Oma los ist. Ein schönes Bild für die Lage der alten Dame, die eigentlich nur vorübergehend wegen eines gebrochenen Fußes bei ihnen wohnen sollte. Und dann bleibt, weil das Bein zwar heilt, die Demenz aber stärker wird. Die am Anfang nur den Anschein kleiner Pannen hat, über die gelacht werden kann und darf. Friedbert Stohner übernimmt das Tempo, in dem die Oma zusehends verirrter wird, für seine Erzählung, die er als Retrospektive aus der Sicht der 13-jährigen Klara anlegt: Langsam nimmt er die Leser:innen mithinein in das Leben dieser überaus freundlichen Akademikerfamilie, in der alle achtsam sind zueinander, in der die früher so resolute Großmutter auch dann gut aufgehoben ist, wenn der Alltag mit ihr schwierig wird. Und aufgehoben bleibt, bis sie nach knapp zwei Jahren stirbt. Das Leid und die Trauer aller Beteiligten, beim Sterben wie im Leben davor, wird nicht zugedeckt, sondern gleichsam aufgehoben: In einem behutsam humorvollen, in stilistischer Perfektion umgesetzten Erzählton; in Figuren mit Eigenheiten, aber offen genug, um ihnen nachfühlen zu können; in unaufdringlich vermitteltem Wissen über die Krankheit. Und nicht zuletzt in den feinsinnigen Zeichnungen von Thomas Müller.
Franz Lettner
Friedbert Stohner: Bleibt Oma jetzt für immer?
Dieser Buchtipp erschien zuerst in "1001 Buch"